Grenzgeschichte DG - Autonome Hochschule in der Deutschsprachigen Gemeinschaft

 

 

„Auf den Spuren von Krieg, Besetzung und Widerstand“ 

Euregionale Rundfahrt durch Belgien, die Niederlande und Deutschland von Dr. Herbert Ruland


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1.
Gedenkort Melen: Erster Weltkrieg Pardon wird nicht gegeben
Autobahnausfahrt Herve Melen, Richtung Lüttich, Gedenkstätte und Gräberfeld

Das resistente Verhalten weiter belgischer Kreise gegen die deutsche Besatzung im Zweiten Weltkrieg hat seine Ursachen in den Schandtaten, die das Kaiserreich während des Überfalls und der Besatzung im Ersten Weltkrieg diesem kleinen Land angetan hat.

In den Morgenstunden des 4. August 1914 marschierten die deutschen Soldaten, um Frankreich in den Rücken fallen zu können, völkerrechtswidrig in das neutrale Belgien ein.
Trotz nur vereinzelter Feindberührungen kam es schon bald zu Übergriffen an der Zivilbevölkerung, die in den nächsten vier Wochen mehr als 6000 völlig unschuldige Menschen das Leben kosten sollten.
Bereits am 6. August 1914 wurde in Gemmenich der Junggeselle Joseph Beuven erschossen, sein Haus dem Erdboden gleichgemacht. Die einmarschierenden deutschen Truppen fühlten sich durch das demonstrative Heraushängen der belgischen Fahne provoziert.

Am Garnstock, nur wenige Meter von der preußischen Grenze bei Eupen entfernt, drangen am Abend des 7. August Angehörige eines Hannoveraner Regiments in ein Kloster ein, aus dem man sie angeblich beschossen hatte: hätte eine zufällig vorbeikommende Ordonanz aus dem nahen Eupen nicht die völlige Harmlosigkeit der Patres bescheinigt, so hätte sie auch ihre deutsche Staatsbürgerschaft nicht vor dem Erschießungstod gerettet.
In der Nacht vom 8. auf den 9. August wurden in Overoth und Baelen, nur zwei Kilometer von besagtem Kloster entfernt, 17 Zivilisten erschossen, darunter ein dreizehnjähriges Mädchen, zwei Frauen von 24 und 62 Jahren und 13 Männer zwischen 30 und 68 Jahren: an sie erinnert noch heute ein Denkmal mit den Fotos der Opfer auf dem nahen Baelener Friedhof.
Im Herver Land wütete die 14. Deutsche Brigade: zwischen dem 4. und 12. August wurden in Micheroux, Retinne, Soumagne, Berneau, Herve und Battice zahlreiche Zivilisten ermordet und ganze Straßenzüge dem Erdboden gleichgemacht.

Hier auf der Wiese an der Autobahnausfahrt Herve, beim Dorf Melen sind noch heute die Grabmäler von mehr als 120 Zivilisten zu sehen, die hier zwischen dem 4. und 12. August 1914 ermordet wurden. Die Inschriften lassen noch heute den Hass gegen die Mörder erkennen. Im Buch von John Horn und Alan Kramer, Deutsche Kriegsgräuel 1914, heißt es unter anderem: “Am 8. August kehrte das 65. Infanterieregiment nach Melen zurück. Es führte 72 Ortsansässige, auf eine Wiese und erschoss sie allesamt. Unter den Getöteten befanden sich acht Frauen und vier Mädchen unter 13 Jahren. Ein Großteil des Dorfes wurde niedergebrannt. Ein Zeuge berichtete, dass die Deutschen Kinder vor den Toten tanzen und ein Kinderlied singen ließen: „Il pleut, il pleut, bergère“.

Wie kam es zu diesen entsetzlichen Gräueltaten, denen noch weitere zum Beispiel in Löwen und Dinant folgen sollten? Aus dem deutsch-französischen Krieg hatten die kaiserlichen Soldaten eine Heidenangst vor Freischärlern und Heckenschützen. Tatsächlich rückten die deutschen Soldaten in den ersten Tagen in der unübersichtlichen Heckenlandschaft auf so engem Raum vor, dass es zu gegenseitigen Beschießungen kam, wobei dann die Opfer der Zivilbevölkerung angelastet wurden. Die Deutschen Soldaten wollten auf dem schnellsten Weg nach Frankreich und da musste alles aus dem Weg geräumt werden, was sich dem irgendwie entgegen stellte!



Fährt man auf der N 3 von Mélen über Battice nach Henri-Chapelle, kommt man am Fort Battice vorbei. Dieses Fort wurde von 1934 bis 1937 gebaut, um Belgien gegen mögliche Angriffe Deutschlands zu schützen.
Hier kann man ein kleines Museum in den unversehen gebliebenen Räumen besichtigen.

Das Innere des Forts können Sie hier besichtigen.



2.
US-amerikanischer Soldatenfriedhof in Henri Chapelle
Im Zentrum Henri Chapelle der Beschilderung nach ca. 1 km

Der etwa 23 ha umfassende Friedhof wurde im September 1944 von der 1. US-Infanteriedivision der 1. US-Armee als Kriegsgräberstätte eingerichtet, auf der aber zunächst nicht nur die Angehörigen dieser Einheiten, sondern auch deutsche Gefallene beerdigt wurden.
Der Friedhof erinnert an die Gefallenen zweier Kriegsabschnitte: zum einen an den Vorstoß der 1. US-Armee durch Nordfrankreich nach Belgien, Holland, Luxemburg und Deutschland im September 1944, zum anderen an die erbitterte Ardennenoffensive, als dieses Gebiet vom Feind überrannt und diese Stätte ein vorgeschobener Verteidigungsposten wurde.
Während die deutschen Toten 1945 nach Lommel (belgisch Limburg) umgebettet wurden, konnten US-Gefallene auf Wunsch ihrer Familien auch in die Heimat überführt werden.

Auf dem Friedhof in Henri-Chapelle ruhen 7.989 gefallene US-Soldaten, von denen die meisten ihr Leben bei der Abwehr der deutschen Gegenoffensive in den Ardennen oder beim Vorstoß nach Deutschland hinein im Herbst und Winter 1944 und im Frühjahr 1945 ließen. Andere fielen bei Luftkämpfen in diesem Raum.
Auch heute wird hier noch beigesetzt, denn immer noch werden in der Umgebung die sterblichen Überreste bisher vermisster Soldaten gefunden. Die letzte Beisetzung war im Jahr 2003.

Nahezu alle Ruhestätten der Gefallenen bei Henri-Chapelle wurden von ortsansässigen belgischen Familien in fürsorgliche Obhut genommen. An religiösen Feiertagen und an Wochenenden besuchen sie den Friedhof und schmücken die Gräber mit Blumen. Die Unterhaltung und Pflege des Friedhofs und der Gedenkstätten obliegen jedoch der „American Battle Monuments Comission“.


3. Höhe bei Schloss Beusdael
Erster Weltkrieg: der Elektrische Todeszaun im Grenzland 1915 1918
Denkmal auf der Kuppe oberhalb von Schloss Beusdael zwischen Sippenaeken und Teuven

Die brutalen Übergriffe deutscher Soldaten gegenüber der Zivilbevölkerung, führten vom ersten Kriegstag an zur Massenflucht in die benachbarten Niederlande. Nach dem Fall von Antwerpen im Oktober 1914, zählte man zeitweise eine Million Belgier im Nachbarland. Die deutsche Verwaltung versuchte mit allen Mitteln das Überschreiten der Grenze zu verhindern. Landsturm bewachte scharf die Grenze. Nicht nur alte und gebrechliche Menschen wollten in die Niederlande, sondern auch viele junge Belgier versuchten auf diesem Weg die Front in Flandern zu erreichen.

Auch für Spione, berufsmäßige Schmuggler, Kriegsgefangene und deutsche Deserteure, war das neutrale Nachbarland ein lohnendes Ziel.
Bereits 1914 hatten die Deutschen an einem Abschnitt der Grenze zur Schweiz einen elektrischen Zaun installiert, mit der Absicht junge Elsässer, von einer Flucht in das Nachbarland abzuhalten.

Diese Erfahrungen veranlassten zu Jahresbeginn 1915 die deutsche Generalgouvernements-verwaltung für Belgien, den Bau eines ähnlichen Drahthindernisses entlang der gesamten Grenze zu den Niederlanden zu forcieren.
Die Arbeiten begannen im April 1915 und gingen vom Aachener Stadtgebiet bis an die Küste in Seeland. Die Absperrung begann am alten Zoll Aachen/Vaals bei Grenzstein 195 und verlief damit auch einige Kilometer an der deutsch-niederländischen Grenze. Die Grenzsperre bestand aus drei Zäunen mit dazwischen liegenden Patrouillengängen: ein Warnzaun aus Stacheldraht zur niederländischen Seite, dann der eigentliche Elektrozaun und ein weiteres Drahthindernis zur deutsch-belgischen Seite hin.
Das erste 18 km lange Stück, in Vaalserquartier beginnend, wurde höchstwahrscheinlich am 23. August 1915 unter Strom gesetzt. Ab dem 29. August war die Anlage bis zur Maas in Betrieb. Die Stromstärke konnte zwischen 500 und 2000 Volt variieren.
Auf vielfältige Weise gelang es Menschen den Draht zu überwinden, doch für viele Personen, deren genaue Zahl sich heute wohl nicht mehr ermitteln lässt, brachte er den Tod. Elektrische Energie war damals noch nicht weit verbreitet und viele Bürger ahnten nichts von deren Gefahren.

Das Leben der Belgier in der Besatzungszeit war hart und vielen Einschränkungen unterworfen. So stöhnte die Bevölkerung unter der hohen Abgabenlast, den Kriegskontributionen, die die deutsche Verwaltung dem Land seit November 1914 völkerrechtswidrig auferlegt hatte.
Da sich kaum Belgier freiwillig zur Arbeit in Deutschland meldeten, folgte ab Oktober 1916 die Zwangseinberufung in das Kaiserreich. Oft in ungeheizten Viehwaggons wurden bis Februar 1917 60.000 Belgier nach Deutschland verfrachtet. Die deutsche Militärbehörde legte dabei großen Wert darauf, dass die Ankunftslager in der Bevölkerung nicht als Konzentrationslager bezeichnet wurden. Bei ihrem Rückzug 1918 nahmen die Deutschen oftmals alles mit, was ihnen nützlich erschien und ließen in manchen Landstrichen nur verbrannte Erde zurück.
Wesentlich für die harten Bedingungen des Versailler Vertrages, die Deutschland auferlegt wurden, waren die Untaten, die das Reich dem kleinen Nachbarland angetan hatte.
Die patriotischen Erzählungen und Erinnerungen der Eltern und Lehrer vom „Großen Krieg“ prägten weite Teile der jungen belgischen Generation der Zwischenkriegszeit und führten viele von ihnen im Zweiten Weltkrieg in die Reihen der Widerstandskämpfer!




Fährt man von Schloss Beusdael aus über Plombière nach Gemmenich führt der Weg vorbei am ehemaligen Kloster Völkerich.

Hier wurden nicht nur Helmut Clahsen und sein Bruder, sondern auch viele andere verfolgte Kinder  von mutigen Patern vor den Nazis versteckt.





4. „Vierländereck“: Netty Drooghaag-Butz
„Sie gehen in das Konzentrationslager Ravensbrück für Frauen“
Denkmalgruppe am Dreiländerpunkt, von Belgien aus kommend, direkt rechts

Erreicht man von Belgien aus kommend die Höhe des ehemaligen Vierländerpunktes, so stehen direkt am Weg auf der rechten Seite zwei Denkmale. Das kleinere ist einem jungen belgischen Soldaten gewidmet, der hier am Zweiten Weihnachtstag 1944 auf eine Mine lief und tödlich verwundet wurde. Das andere gedenkt allen belgischen Freiwilligen, die im letzten Kriegsjahr dazu beitrugen, Deutschland zu besiegen.

Hier oben spielte zu Beginn der dreißiger Jahre die kleine Netty Butz aus Gemmenich mit ihren Freundinnen, auf belgischer und holländischer Seite. Den deutschen Boden betraten die Kinder nie, dort war es ihnen unheimlich.

Netty wurde 1919 geboren. Sie wuchs mit den Gesprächen über den gerade beendeten 1. Weltkrieg auf. So erfuhr sie von den Gräueltaten der deutschen Soldaten an der belgischen Zivilbevölkerung in den ersten Kriegstagen, von der anschließenden Flucht fast der gesamten Gemmenicher Bevölkerung in die nahen Niederlande und vom elektrischen Todesdraht der ab 1915 ihre Heimat von den nahen Niederlanden trennte.

In der Schule hörte sie von Gabrielle Petit, jener blutjungen Brüsseler Widerstandskämpferin, die 1917 von den Deutschen erschossen wurde. “Wenn die Preußen noch mal wieder kommen, will ich sein wie Gabrielle Petit“, sagte sie zu ihren Mitschülerinnen.
Beim deutschen Einmarsch 1940 floh Netty bis nach Dünkirchen. Bei ihrer Rückkehr war ihr Dorf dem Deutschen Reich angegliedert. Statt in Verviers musste sie nun in Aachen arbeiten.

Und der Weg führte sie wieder genau hier oben vorbei. Auf der deutschen Seite lag ein Bauernhof, auf dem französische Kriegsgefangene Fronarbeit leisteten. Sie verschaffte den Soldaten Zivilkleidung und verhalf ihnen zur Flucht. Netty wurde Fluchthelferin und schließlich von einem Belgier denunziert. Nach quälenden Verhören durch die Geheime Staatspolizei in Aachen, wurde Netty schließlich am 29. August 1942 mit einem Gefangenenzug Richtung Osten in Marsch gesetzt. Bei einem Zwischenstopp im Gefängnis in Berlin sagte eine Aufseherin zu den Gefangenen: “Sie gehen in das Konzentrationslager Ravensbrück für Frauen. Dort gibt es viel Arbeit und wenig zu Essen. Arbeitet so viel ihr könnt, dann habt ihr vielleicht das Glück und kommt noch einmal lebend nach Hause“.
Netty überlebte die Höllentortouren. Noch im April 1945 versuchte der Reichsführer SS, Heinrich Himmler sich bei den Alliierten beliebt zu machen und ließ fast 20.000 KZ-Häftlinge, darunter auch Netty nach Schweden ausreisen. Als wenige Wochen nach Kriegsende, der Mann, der Netty denunziert hatte, von ihrer Befreiung erfuhr, beging dieser in Hamburg Selbstmord. Am 29. Juni 1945 konnte Netty ihrem Mann Pierre, den sie 1941 geheiratet hatte, endlich in Belgien in die Arme fallen.
In den nachfolgenden Jahren engagierte sich Netty in patriotischen und antifaschistischen Vereinigungen, trat als engagierte Zeitzeugin in Schulen auf und pflegte mit ihrem Mann das kleine Monument des jungen belgischen Freiwilligen vor dem wir hier stehen.


5.
Moresnet Chapelle: Pater Bentivolius - NS-Gegner aus Überzeugung
Kloster Moresnet in Moresnet-Chapelle, Kalvarienberg, Friedhof der Patres hinter dem Hauptaltar

Seit dem Ende des 18. Jahrhunderts, entwickelte sich der Weiler Moresnet, wegen Wunderheilungen, die der Gottesmutter zugeschriebenen wurden, zusehends zum Wallfahrtsort.
Seit dem Kulturkampf, dem Vorgehens Bismarcks gegen die Katholische Kirche, und der Auflösung vieler geistlicher Orden im letzten Drittel des 19.Jahrhundets, wurde die Betreuung der Pilger und die geistliche Versorgung der Anwohner, von einer Klostergemeinschaft der Rheinischen Franziskanerprovinz übernommen.

Berühmt ist die Prozession, die seit weit über 100 Jahren ausgehend von St. Jakob in Aachen einmal wöchentlich nach Moresnet zieht. Diente diese Prozession schon immer dem Schmuggel, so wurden während der ersten Jahre der NS-Zeit auch jüdische Bürger, die dann versuchten in Belgien unterzukommen oder direkt Europa zu verlassen, bei dieser Wallfahrt über die Grenze gebracht.

Im Kloster wirkte seit Ende der dreißiger Jahre Pater Bentivolius Marxen, der seit seiner geistlichen Ausbildung in Mönchengladbach ein entschiedener und aktiver Gegner der Nationalsozialisten und überzeugter Antimilitarist war. Bis zu seiner Versetzung an den Gnadenort, hatte er unter ständiger Lebensgefahr v.a. die Überbringung illegaler Post für seinen Orden aus den Niederlanden nach Deutschland organisiert.
In der katholischen Jugendarbeit gelang es ihm viele junge Menschen gegen die Verführungen des Nationalsozialismus immun zu machen und sogar NS-Gruppen in gewisser Weise zu unterwandern.
In Moresnet und den angrenzenden Pfarreien organisierte Bentivolius die Fluchthilfe für französische Kriegsgefangene in das nahe Belgien mit.
Am 11. September 1944 flüchteten die letzten deutschen Soldaten aus Moresnet und forderten den Pater als reichsdeutschen Bürger ultimativ auf, mit ihnen zu kommen. Als dieser sich weigerte, sollte er standrechtlich erschossen werden. Eine sich zusammenrottende Menschenmenge, die eine bedrohliche Haltung gegenüber diesen letzten Deutschen einnahm, konnte schließlich das Leben des Paters retten.
Am nächsten Tag kam mit den Amerikanern eine Gruppe der „Armée Blanche“ - selbsternannte Freiheitskämpfer der letzten Stunde (die aber mehr Plünderer und Gauner) waren, in Moresnet an. Nachdem im Zimmer des Paters ein Luftschutzhelm mit Hakenkreuz gefunden wurde, stellte die selbsternannte Bande von Freiheitskämpfern den Pater an die gleiche Wand, an der er schon am Tag zuvor erschossen werden sollte. Das beherzte Eingreifen eines jungen Messdieners, der überzeugend das Wirken des Paters in der unseligen Besatzungszeit schilderte, rettete diesmal sein Leben.
In seinen letzten Jahren kam Pater Bentivolius nach Moresnet zurück. Auf dem Friedhof hinter dem Hochaltar am Kreuzweg liegt dieser aufrechte Geistliche begraben.


6. Montzen 1940-44: „Deutsche auf Widerruf“ leisten Fluchthilfe für französische Kriegsgefangene
Montzen-Zentrum: Rue Gustave Demoulin 4; Rue de la Poste 13, ehemalige Vikarie, gegenüber Post; Kloster Pannesheydt, Rue Homburg 76

Durch Führererlass Ende Mai 1940 wurde nicht nur das sog. Gebiet von Eupen, Malmedy und Moresnet dem Reich einverleibt, sondern auch belgische Dörfer, die niemals zu Preußendeutschland gehört hatten. Zwar war die Muttersprache dieser Menschen ein plattdeutscher Dialekt. Trotzdem war die große Mehrheit, bedingt durch das Verhalten der kaiserlichen Soldaten im Ersten Weltkrieg, extrem patriotisch belgisch gesinnt. Die etwa 20.000 Einwohner dieser Dörfer bekamen nicht wie die „Eupen-Malmedyer“ normale Personaldokumente, sondern wurden zu Deutschen auf Widerruf erklärt. Sie sollten sich erst für das Reich bewähren.

1942 wurde damit begonnen, diese jungen Männer in die Wehrmacht einzuziehen. Dieses Vorhaben scheiterte jedoch, denn fast alle tauchten in Belgien unter oder schlossen sich dem Widerstand an. Viele Daheimgebliebene waren in der Fluchthilfe tätig, sie brachten insbesondere französische Kriegsgefangene am Kloster Pannesheydt oder in der Nähe des Montzener Bahnhofs über die neue Grenze nach Belgien.



Besonders Franzosen, kamen auf ihrer Flucht in die nunmehr dem Reich zwangseingegliederten plattdeutschen Dörfer. Gegenüber den Gefangenen aus dem Osten wurden sie von den Nazis in den Lagern bevorzugt behandelt und durften auch Lebensmittelpakete von zu Hause empfangen. Oft gab es Konserven mit Ölsardinen und darin kleine Landkarten, die in diese nazifeindlichen und zweisprachigen Dörfer führten. Deshalb wurden diese Fluchtwege im Volksmund auch als die so genannte ‚Ölsardinenstraße bezeichnet. Doch durch unterschlagene Pakete kam die Gestapo hinter das Geheimnis. Eines ihrer ersten Opfer wurde der Veterinär und ehemalige Bürgermeister von Montzen, Gustave Demoulin, der am 20. Mai 1943 verhaftet und im Dezember des gleichen Jahres im Konzentrationslager Sachsenhausen mit einer Benzol- oder Emboliespritze qualvoll ermordet wurde.

An dem in Montzen tätigen Kaplan Jean Arnolds wollten die Nazis sogar ein Exempel statuieren, um der Bevölkerung zu zeigen, wer hier das Sagen hatte. Am 22. Juni 1943 von der Gestapo verhaftet und nach zehnmonatiger Haft in Aachen vor den Volksgerichtshof in Berlin gezerrt, wurde dieser dort am 27. April 1944 zum Tode verurteilt und am 28. August des gleichen Jahres mit dem Fallbeil im Zuchthaus Brandenburg hingerichtet. Gnadengesuche der Bischöfe von Aachen und Lüttich, sowie des ehemaligen belgischen Botschafters in Berlin, hatten keinerlei Einfluss auf das Geschehen.
Am 19. Januar 1942, hatte Jean Sauvot, der aus dem Gefangenenlager Duisdorf bei Bonn entflohen war, Jean Arnolds um Hilfe gebeten. Der Mann, der später selbst Priester wurde und seinen Helfern auch ein Buch widmete, kam 1947 nach Montzen um seinen ehemaligen Rettern zu danken.
Als er von Kaplan Arnolds Schicksal erfuhr und erschüttert die Mutter des Kaplans in Pannesheydt aufsuchte, entfuhr es der verbitterten Frau: „Wenn die nicht gewesen wären, lebte mein Sohn noch“.


7.
Montzen Gare: Zwischenstation auf dem Weg in die Vernichtungslager
Die strategisch wichtige Eisenbahnlinie von Antwerpen zu den deutschen Rheinhäfen führte ursprünglich durch den niederländischen südlimburgischen Zipfel. Da die Niederlande im Ersten Weltkrieg (weitestgehend) ihre Neutralität wahren konnten, stand diese Verbindung dem Kaiserreich nicht mehr zur Verfügung. Zur Versorgung der Flandernfront musste eine neue Strecke unter Umgehung des Nachbarlandes gebaut werden.

Diese Linie 24 (auch Groener-Linie genannt) verlief von Aachen-West durch den Gemmenicher Tunnel nach Montzen, überquerte die Maas bei Visé und traf hinter Tongeren auf die ursprüngliche Trasse. Zur Strecke gehörte auch das heute noch längste Eisenbahnviadukt Belgiens in Moresnet, das unter erbärmlichsten Bedingungen von russischen Kriegsgefangenen gebaut wurde und von denen viele an Entkräftung, Hunger und Seuchen starben. An diese Menschen erinnert noch heute eine Gedenktafel auf dem Moresneter Friedhof fast unterhalb des Viadukts. Hartnäckig hält sich bis heute das Gerücht, das tote russische Kriegsgefangene von den deutschen Bewachern einfach in die Fundamente hineingeworfen wurden.
In der Nähe von Montzen entstand ein riesiger Güterbahnhof zur Versorgung der Westfront.

Ab 1940 wurde diese Station dem Reich einverleibt, Montzen war jetzt deutscher Grenzbahnhof. Höchstwahrscheinlich alle Deportationszüge aus Belgien in die Vernichtungslager im Osten führten über diesen Ort. Hier wurden die Lokomotiven gewechselt, was einen gewissen Aufenthalt mit sich brachte. Viele der hier eingesetzten belgischen Lokomotivführer waren Mitglieder der Kommunistischen Partei und Gewerkschaften und bekannten sich zum Widerstand. Oftmals versuchten sie auf der Fahrt nach Montzen die Geschwindigkeit zu drosseln um Gefangenen ein Abspringen zu ermöglichen. Dem engagierten Einsatz des Zugpersonals ist es auch zu verdanken, dass bei der Rückfahrt der Züge immer wieder Flüchtlinge nach Innerbelgien geschmuggelt werden konnten.

Makaberer Zufall: in einer zum Verkauf stehenden Halle des Bahnhofsgeländes stehen wohl aus dem Besitz eines Privatsammlers verrottende Viehwaggons der Bauart, wie sie Belgien der Reichsbahn für die Transporte in die Vernichtungslager zur Verfügung stellen musste!


8
. Köpfchen :
a. Grenzbefestigungen und Westwall
Am ehemaligen deutschen Zollhaus auf Köpfchen von Eupen kommend auf der linken Seite

Die Bewohner von Grenzregionen können fast immer über leidvolle Erfahrungen berichten. Im Fall von Kriegsereignissen zwischen Nachbarn sind sie die Ersten, die hiervon betroffen sind: durchziehende Truppen, Verwüstungen, Einquartierungen, Ablieferung von Lebensmitteln etc., waren an der Tagesordnung.

Auch an der Schnittstelle Köpfchen und in der Umgebung der ehemaligen Freien Reichsstadt Aachen ging es im Lauf der Geschichte „drunter und drüber“. Hier „empfahlen“ sich u.a. Limburger, Brabanter und Burgunder, Habsburger der spanischen und der österreichischen Linie, niederländische Generalstaatler, republikanische und kaiserliche Franzosen, Preußen und „Groß-Deutsche“, US-Amerikaner, die von den einen als Befreier von vielen der anderen zumindest zunächst als Besatzer empfunden wurden.

Um weitere Gebietsverluste an das mächtige Burgund zu verhindern, legte die Freie Reichsstadt Aachen schon nach 1439 den so genannten Landgraben an. Dies war ein aufgeschütteter Wall mit einer Buchenhecke, die Eindringlinge abhalten sollte. Die imposanten Reste können hier auf Köpfchen, genau auf der Grenze verlaufend, besichtigt werden. Besonders beeindruckend ist der Graben mit den ‚Harfenbuchen auf der linken Seite von Köpfchen aus Aachen kommend.
Bis zur endgültigen Besitzname der Rheinlande durch die Franzosen 1795, war hier Grenze zwischen der Freien Reichsstadt Aachen und den Habsburgischen Niederlanden: davon zeugen noch viele Grenzsteine im Wald. 1815, auf dem Wiener Kongress bekam Preußen auch das Gebiet von Eupen-Malmedy zugesprochen, die Grenze verschob sich in südwestlicher Richtung. Mit Inkrafttreten des Versailler Vertrages verlief hier oben wieder die Landesgrenze, wie sie bis 1795 Bestand gehabt hatte.

Schon kurz nach der Besetzung des entmilitarisierten Rheinlandes durch die Wehrmacht am 7. März 1936, begann die Planung für ein Befestigungswerk im Westen des Reichs, das von Wesel bis nach Basel reichen sollte. Durch den Bau des Westwalls sollte den Nachbarvölkern, insbesondere Frankreich, vorgetäuscht werden, dass Hitler hier nur defensive Ziele verfolgte. Direkt an der Grenze wurden Höckerlinien als Panzersperren angelegt. Dahinter folgten tief gestaffelte Bunkersysteme.
Am 14. Mai 1939 überzeugten sich Hitler und Himmler vom Stand der Bauarbeiten an den Sperranlagen des Westwalls in Bildchen und auch hier auf Köpfchen.
Der Westwall war im Vergleich zur französischen Maginotlinie weit unterlegen, sein tatsächlicher militärischer Wert war recht gering.
Am 10. Mai 1940 geschah aus der Tiefe des Westwalls der Überfall der Wehrmacht auf Frankreich und die neutralen BeNeLux-Staaten.


b. „Leiden und Leben mit dem Westwall“
Zollsiedlung auf der rechten Seite gegenüber dem ehemaligen deutschen Zollhaus Köpfchen

Am 12. September 1944 stoppte der rasche amerikanische Vormarsch am Westwall. Grund waren Nachschubprobleme und vermuteter hartnäckiger Widerstand an der Verteidigungslinie. Bedingt durch deutsche Propaganda wurde die Verteidigungskraft des Westwalls von den Amerikanern weit überschätzt.
Tatsächlich war der Weg zum Rhein damals weit offen: die deutschen Soldaten waren auf der Flucht und eine organisierte Gegenwehr gab es zu diesem Zeitpunkt nicht.
In den nächsten Wochen gelang es der deutschen Führung sogar noch - unter Aufbietung aller Kräfte - eine geschlossene Verteidigungslinie im Westen zu errichten. Den Alliierten wurde nunmehr zäher Widerstand geleistet und in den Ardennen gingen die deutschen Streitkräfte sogar noch zu einer räumlich begrenzten Offensive über, die die Amerikaner zunächst in arge Bedrängnis brachte.
Das ganze linksrheinische Gebiet wurde für Monate zum Schlachtfeld. Ganze Städte und Dörfer, ja ganze Landstriche wurden dem Erdboden gleich gemacht.
Die tatsächliche Überschreitung des Westwalls, insbesondere der Sperren der Höckerlinien, stellte dabei aber für die schweren amerikanischen Panzer kein besonderes Hindernis mehr dar.
Die meisten Bunkeranlagen des Westwalls wurden bereits in den ersten Nachkriegsjahren gesprengt. Da die letzten verbleibenden Anlagen eine vermeintliche Gefahr für die öffentliche Sicherheit darstellen, werden diese auch heute noch beseitigt. Denkmalschützer und andere historisch interessierte Bürger kämpfen um deren Erhalt.
Im Gegensatz zu den Bunkern erwies sich die Beseitigung der oft kilometerlangen Höckerlinien als so ungeheuer kostenintensiv, dass diese in weiten Teilen erhalten blieben. Eventuelle Anwohner, wie hier in der Siedlung auf Köpfchen, mussten sich wohl oder übel mit diesen Hinterlassenschaften einer wenig friedvollen Zeit arrangieren.
Hier an der ehemaligen Zollsiedlung steht der Westwall im Garten und im Sommer können hier Zwiebeln- und Bohnenpflanzen in der Höckerlinie bewundert werden.
Der Westwall hat den Denkmalwert des Unerfreulichen.


c. Flucht aus politischen und rassischen Gründen vor den Nazis 1933-1940
Köpfchen, z. B. Weg am alten deutschen Zollhaus von Eupen kommend Richtung Sandgrube Flög, wo jüdische Flüchtlinge bei belgischen Bauern Zwischenstation machten

Politische Grenzen zwischen Staaten werden gerade auch von den direkten Anwohnern oft als Ärgernis empfunden, sie behindern sie in ihrer täglichen Bewegungsfreiheit.
Während die ehemaligen Binnengrenzen in der EU heute weitestgehend offen sind, schottet sich die Gemeinschaft nach außen immer mehr ab, dies insbesondere um nichteuropäischen Flüchtlingen den Weg hierher zu versperren.
Mit dem Beginn der NS-Zeit bedeutete die Flucht aus Deutschland in das benachbarte Ausland, die zeitweilige oder lebenslange Rettung der Betroffenen vor den Schergen der braunen Diktatur.

Belgien galt damals als besonders liberales Aufnahmeland. Nachdem die Flüchtlinge eine 10 Kilometer breite Grenzzone überwunden hatten, konnten sie sich frei bewegen und einer Arbeit nachgehen.
Direkt nach 1933 kamen zunächst Menschen nach Belgien, die politisch in Deutschland verfolgt waren, insbesondere Kommunisten, Sozialdemokraten, und Gewerkschafter.
Diese Leute kamen hier auf Köpfchen mit der Kleinbahn an. Sie wurden auf der deutschen Seite von belgischen Gesinnungsfreunden abgeholt, gingen dann als Liebespaare getarnt durch den Wald und stiegen auf der anderen Seite wieder in die Bahn ein.

Korrespondierend mit der Verschärfung der Rassegesetzgebung nahm die Flucht der Juden über die deutsch-belgische Grenze zu und erreichte ihren ersten Höhepunkt nach dem so genannten Anschluss Österreichs im März 1938. Wiener Juden kamen oft die tausend Kilometer zu Fuß bis nach Belgien.
Einmal den „Judenfängern“, wie man die Gendarmen bezeichnete, entgangen, saßen sie hier in den Häusern und Gehöften in der Flög und warteten darauf weiter nach Belgien hineingeführt zu werden.
Während die belgischen Anwohner meist aus christlicher und humanistischer Überzeugung handelten, ließen sich die „Judentreiber“, die die Menschen fortbrachten, ihre Arbeit gut bezahlen. Die Fluchtbewegungen dauerten bis in die Kriegszeit an.


d. „Die sündige Grenze Schmuggel
In den Krisenzeiten des 19. Jahrhunderts war es gerade die ärmere Bevölkerung, die sich mit billigen Lebensmitteln aus den Nachbarländern versorgte. Entlang der Grenze in Belgien und in den Niederlanden entstanden damals so genannte „Schmuggelbuden“, die speziell auf die Wünsche der schmuggelnden Grenzgänger eingestellt waren. „Salz, Streichhölzer, Petroleum?“ lautete die Standardfrage der preußischen Zöllner.

Während des Ersten Weltkriegs wurde die Kreisstadt Eupen zum „Schmuggeleldorado“. In den Jahren danach nahm der Schmuggel an der neuen Westgrenze schon deutlich kriminelle Züge an. In der NS-Zeit wurden sogar Menschen, die ihres Lebens in Deutschland nicht mehr sicher waren, auf oft abenteuerliche Art und Weise über die Grenze gebracht.
Nach dem Zweiten Weltkrieg war fast die ganze Region verwüstet. Der Warenschmuggel nahm durch die Not der Menschen bisher unbekannte Ausmaße an. Aus Deutschland wurden zunächst hochwertige Vorkriegserzeugnisse wie Fotoapparate, elektrisches Spielzeug etc., aber auch Vieh und Buntmetalle nach Belgien gebracht, um sie dort gegen Kaffee einzutauschen.
Nach der Währungsreform in den Westzonen konnte das Schmuggelgut nunmehr problemlos mit dem deutschen Geld bezahlt werden. Geschmuggelt wurde von Kinderbanden, die bepackt durch den Westwall liefen, von Erwachsenen mit umgebauten amerikanischen Straßenkreuzern und sogar mit Panzerspähwagen aus belgischen Armeebeständen. Am Schlimmsten ging es hier in den frühen fünfziger Jahren zu.

Mit der Senkung der Kaffeesteuer auf ein erträgliches Maß 1953 durch den deutschen Bundestag war dann dem gewerblichen Großschmuggel weitestgehend der Boden entzogen. Über fünfzig Menschen verloren ihr Leben an der „Kaffeefront“ an der „sündigen Grenze“ im wilden Westen Deutschlands.
Der letzte Kaffetote war ein 36jähriger Kleinschmuggler aus Nütheim bei Walheim. Er wurde am 22. Februar 1964 in Lichtenbusch von einem Zollbeamten getötet: der „Schmuggler“ führte eineinhalb Pfund Kaffee, 20 Eier und 100 Gramm Tee mit sich…









 

 

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EXTERNE AUFTRÄGE


Koordination der „Aktionstage Politische Bildung“


Demokratieerziehung in Brüssel


Vertretung der Deutschsprachigen Gemeinschaft in der „Task Force for International Cooperation on Holocaust Education, Remembrance and Research“


Vertretung der Deutschsprachigen Gemeinschaft im pädagogischen Beirat des „Jüdischen Museums der Deportation und des Widerstandes in Mechelen“


Vertretung der Deutschsprachigen Gemeinschaft im Verwaltungsrat der Gedenkstätte Breendonk



 

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